Sinnhaftigkeit des Ländesauswahlturniers 2016: Sichtung oder Event?

Autor: Futsal-Economist

Die Schale ist in Sachsen, zahlreiche Spieler sind für die Sichtungslehrgänge ausgesucht und Deutschland diskutiert auch zwei Wochen nach dem Länderpokal immer noch über die eine oder andere Entscheidung bzw. die Ergebnisse. Es war auch in diesem Jahr wieder eine Ausnahmegelegenheit die Futsalentwicklung in Deutschland live zu „sehen“. Das Teilnehmerfeld rückte wieder etwas weiter zusammen und so langsam bilden sich unter Trainern und Spielern wertvolle und notwendige Netzwerke.

Trotz aller Euphorie möchten wir uns auch in diesem Jahr wieder kritisch mit der Organisation und der Umsetzung des Turnieres beschäftigen. Denn ohne weiteren Fortschritt, werden wir vielleicht den großen „Futsalboom“ verpassen und in 3-5 Jahren mit einem großen Ernüchterungskater erwachen. Da das Turnier in Duisburg neben dem Meisterschafts-Finalspiel aktuell eines der Aushängeschilder im deutschen Futsal ist, möchten wir auch dieses Jahr unsere Gedanken zum Turnier darlegen und diskutieren.

In den vergangenen Analysen zum Turnier 2014 (https://misterfutsal.de/2014/02/04/top-oder-flop-die-sinnhaftigkeit-des-futsal-landerturnieres-2014/) und 2015 (https://misterfutsal.de/2015/03/03/sinnhaftigkeit-des-futsal-landerpokals-2015/) beschäftigten wir uns insbesondere mit den allgemeinen Grundbedingungen des Turniers wie Wettbewerbsmodelle (Hammes-Modell), Spielzeit (erst 15min. Brutto, dann 20min. Nettospielzeit) und den ungünstigen Situationen in den Sporthallen (Rollsporthalle zu flach, Aufwärmhalle zu rutschig). Letztlich sind bereits einige Punkte umgesetzt worden bzw. manche Punkte einfach nicht realisierbar. Daher möchten wir diese Rahmenbedingungen nicht weiter ausführen. Im Großen und Ganzen waren die Rahmenbedingungen für Spieler und Trainer sehr gut – man merkt, dass nach zwei Veranstaltungen anfängliche Ineffizienzen in Organisation und Ablauf reduziert wurden (einziges Manko: weiterhin kein online Live-Ticker der Ergebnisse und Tabellen von DFB-Seite).

Die weiteren Diskussionspunkte der vergangenen Jahre waren die Anreize für die Teilnahme und Spielernominierungsstrategien der Landesverbände (Sichtungscharakter), die Attraktivitätsfrage für Zuschauer und die Diskussion um die Schiedsrichterleistungen. Bevor wir diese Ansätze erneut diskutieren, müssen wir nach dem dritten Länderpokal zunächst die mögliche Ausrichtung des Turniers diskutieren. Hervorgegangenen aus der Idee Spieler für eine potenzielle Nationalmannschaft zu sichten, wird das Turnier offiziell bisher als reines Sichtungsturnier kommuniziert. Spricht man jedoch mit Trainern und Spielern aus den Futsalregionen und folgt man der medialen Aufarbeitung des Turniers, wurde dieses Jahr verstärkt deutlich, dass sich das Turnier viel stärker zu einem Signalevent für die Futsalentwicklung und Futsalleidenschaft in Deutschland entwickelt. Es ist also gar nicht klar, was der Länderpokal 2017 sein wird: Sichtung oder Event? Für uns steht daher nach diesem Jahr fest, dass der Länderpokal in eine Sinnkrise gerät, sollten nicht bestimmte Determinanten des Turniers klarer definiert werden, um die Ausrichtung unmissverständlich zu signalisieren.  Eine klare Ausrichtung erscheint notwendig, da ansonsten Enttäuschung entstehen könnte, da Erwartungen nicht erfüllt werden. Ungeachtet der letztendlichen Ausrichtung des Turniers, möchten wir daher unsere tiefere Diskussion der Parameter abhängig von einer zukünftigen Ausrichtung des Turniers machen.

Länderpokal als Sichtungsturnier

Bei einer Sichtung gibt es nur ein Ziel: die besten Spieler für eine höhere Auswahlmannschaft zu selektieren. Der Erfolg bei einem Sichtungsturnier muss untergeordnet sein, da es sonst Anreize zur nicht sichtungsrelevantem Verhalten bei den Trainern gibt. Dabei spielt besonders die Effizienz eine Rolle. Dazu zählt, dass Spieler in relevanten Spielsituationen beobachtet werden können und zum anderen nur Spieler beobachtet werden, welche zuvor festgesetzten Kriterien entsprechen. Demnach sollten Anreize zu „sichtungsrelevanten“ Verhalten bei Trainer und Spielern gegeben werden sowie nur Spieler dem Sichtungsprozess zugeführt werden, welchen den vorab festgelegten Kriterien entsprechen.

In Bezug auf die Beachtung sichtungsrelevanter Kriterien wurde zu Turnierbeginn von den Sichtungsleitern auf die logischerweise notwendige deutsche Staatsbürgerschaft und Futsalerfahrung abgestellt. Auch Athletik, Fußballtechnik und generelle Beweglichkeit galten als Bewertungskriterien, wodurch auch Spieler ohne Futsalvorerfahrung in Betracht gestellt wurden. Unter der Annahme jedoch, dass diese Spieler nur maximal einmal im Monat zusammentreffen und somit die grundlegendsten Techniken und Taktiken lediglich über mehrere Sitzungen der Nationalmannschaft aufbauen, erscheint es logisch, auch das Alter in Betracht zu ziehen. Was nützt ein 32-jähriger Fußballer, welcher erst in 3 Jahren und nach 10 DFB-Lehrgängen sein volles Potenzial ausschöpfen kann? In Anbetracht dieser Konstellation des deutschen „Futsalmarktes“, wäre also eine Altersgrenze sinnvoll – auch für Spieler mit Futsalerfahrung, da auch diese erst mit längerer Zeit im Nationalteam ihre Teamproduktivität steigern. Zudem sollten nur Spieler dem Sichtungsprozess zugeführt werden, welche bei einer potenziellen Nominierung auch wirklich regelmäßig an Lehrgängen und Länderspielen teilnehmen können. Hier stellt sich die kritische Frage, ob Spieler in Vereinen oberhalb der Fußball-Landes-/Verbandsligen eine Freigabe der Vereine erhalten. Grundsätzlich besteht Abstellungszwang der Vereine, jedoch erscheint es rechtlich fragwürdig, ob dieses Abstellungsgebot auch für die Abstellung eigener Spieler für eine andere Breitesportart (Status Futsal beim DFB) gilt. Des Weiteren können Vereinsmanager immer mit der Nichtverlängerung von Verträgen drohen, sollte der Spieler in Zukunft weiter zu Futsalsichtungslehrgängen und Spielen abgestellt werden müssen. Da im Seniorenfußbal alle professionellen Ligen mit dem Spielplan der Nationalmannschaft synchronisiert sind, gibt es dieses Problem nur exklusiv im Futsal.

Um die Kriterien (Alter, Staatsbürgerschaft, Zugehörigkeit Futsalclub) bewerten zu können, möchten wir uns wieder die Statistik anschauen. Dafür gibt Tabelle 1 eine Übersicht über die Statistiken zum diesjährigen Turnier und Tabelle 2 Informationen zu den Mittelwerten im Vergleich zu den Vorturnieren. Obwohl weiterhin der hohe Anteil (12%) von Spielern ohne deutschen Pass zu kritisieren ist, zeigt die Entwicklung, dass sich die Quote von Anfänglich 15% verbessert hat. Der Anteil qualitativ passender deutscher Spieler scheint demnach zu steigen. Diese Entwicklung ist als positiv zu werten, möchten wir nicht in langjährige Abhängigkeiten von ausländischen Spielerpotenzial geraten wie Russland, Azerbaijan oder Italien. Obwohl weiterhin mit 61% unbefriedigend, zeigt auch der Anteil von Spielern mit Futsalerfahrung bzw. Futsalvereinen einen positiven Anstieg von 59% im Jahr 2014. Erstmalig haben wir uns nun auch das Alter angeschaut und müssen sagen, dass gerade Auswahlmannschaften mit Futsalerfahrung signifikant ältere Mannschaften stellen (Korrelationskoeffizient 0.74). Ein Durchschnittsalter von über 25 erscheint für einen Sichtungslehrgang, welcher langfristige Konstanz in der Nationalmannschaft schaffen soll, als unangebracht (Maximaler Wert im Turnier: 27.39!). Der älteste Spieler war beeindruckende 37 Jahre alt! Gerade die „futsalfernen“ Verbände überzeugen daher aus Sichtungsperspektive mit der Entsendung von jungen Spielern. Darüber hinaus tendieren gerade Regionen mit Futsalerfahrung auf die Möglichkeit, einzigartige Spieler ohne deutschen Pass zu nominieren (Korrelationskoeffizient -0.42). Hier scheint sich abzuzeichnen, dass Möglichkeiten zur kurzfristigen Leistungssteigerung im Speziellen von futsalerfahrenen Verbänden genutzt werden. Der Erfolgsgedanke scheint von Futsaltrainern über dem Selektionscharakter zu stehen.

Tabelle 1. Statistik zum Länderpokal 2016

  Spieler Anteil Deutsch Ø Alter Futsalspieler
Sachsen-Anhalt 11 1.00 21.47 0.00
Rheinland 12 0.92 22.48 0.00
Südbaden 11 1.00 22.51 0.00
Schleswig-Holstein 12 0.92 23.80 3.00
Saarland 12 1.00 24.25 0.00
Hessen 12 0.83 24.46 12.00
Südwest 12 0.92 24.82 1.00
Hamburg 12 0.75 25.45 12.00
Sachsen 11 0.73 25.55 7.00
Niedersachsen 12 0.75 25.56 9.00
Bremen 12 0.83 25.68 5.00
Bayern 12 0.67 25.99 9.00
Württemberg 12 0.75 26.04 8.00
Westfalen 12 0.92 26.35 12.00
Mecklenburg 11 1.00 26.57 10.00
Brandenburg 12 0.83 26.95 12.00
Berlin 12 1.00 26.96 12.00
Thüringen 11 1.00 27.05 2.00
Baden 11 0.91 27.14 11.00
Mittelrhein 12 0.92 27.16 12.00
Niederrhein 12 0.83 27.39 12.00
Ø 246 0.88 25.41 149

Hinweis: Die Zuordnung, ob Futsalverein oder nicht, war mehrfach nicht eindeutig. Von daher entschuldigen wir uns, falls es zu marginalen Fehldefinitionen gekommen ist.

Tabelle 1. Veränderungen zu vergangenen Turnieren

Anteil Futsalspieler Deutschquote
2014 59.00 85.00
2015 55.00 86.00
2016 61.00 88.00

Aufgrund der festgestellten Ineffizienzen bei einem reinen Sichtungslehrgang, könnte der DFB in verschiedene Richtungen adjustieren, um die Passgenauigkeit der abgestellten Spieler mit den Anforderrungen zu synchronisieren und die Effizienz der Maßnahmen zu steigern (Gesamtturnierkosten von 50.000€-70.000€ sollten auch effizient investiert werden). Die Auswahltrainer tendieren anscheinend ohne weitere Regelungen zur kurzfristigen Erfolgsmaximierung des Verbandes (Verbände stellen teilweise Ergebnisanforderrungen). Generell führt dies zur Fokussierung auf den Erfolg und nicht auf die Sinnhaftigkeit einer Sichtung. Daher sollte ein generelles Nominierungsverbot für Spieler ohne deutschen Passen gesetzt werden. Somit wird auch verhindert, dass potenzielle ausländische Spieler gesichtet und zur Einbürgerung „motiviert“ werden, was Deutschland wieder langfristig in die Abhängigkeit von derartigen Einbürgerungen führt. Zudem sollte eine Altersobergrenze gesetzt werden. Spieler über 30 Jahren erscheinen für das langfristige Projekt Futsalentwicklung absolut unpassend. Auch könnte über die Einführung eines Altersdurchschnitts von 25 nachgedacht werden. Um nicht jeden Kader durchzurechnen, erscheint jedoch eine generelle Obergrenze von 27 als beste Alternative. Während sich vorgenannte Probleme relativ schnell korrigieren lassen, bleibt das Problem der Abstellungssperren von Spielern mit Fußballvereinen als Hauptverein. Es wäre maximal denkbar, alle Spieler vor dem Turnier zur einer schriftlichen Genehmigung für die Teilnahme am Länderpokal des Heimatfussballvereins zu verpflichten. Dies schafft zwar keine direkten Auswirkungen auf spätere Abstellungen, jedoch ist anzunehmen, dass negativ eingestellte Vereine die langfristigen Folgen aus einem Sichtungsturnier antizipieren und bereits für den Länderpokal keine Abstellung geben. Es wäre also eher eine Maßnahme, um die „potenzielle“ Abstellungswilligkeit schon zum Zeitpunkt der Sichtung abschätzen zu können. Ob es überhaupt Probleme mit den Abbestellungen gibt, werden wir in den nächsten Monaten beobachten.

Neben der Fokussierung auf sichtungsrelevante Determinanten bei den Spielern, sollte auch auf sichtungsrelevantes Verhalten der Trainer geachtet werden. Gerade dieses Jahr hat sich gezeigt, dass der von Verbänden und Trainern ausgerufene „Erfolgsdruck“ zu strategisch fragwürdigen Entscheidungen geführt hat. So wurde nahezu bei der jedem Rückstand die Spielsituation nicht primär spielerisch mit vier Spielern gelöst (was Sichtungstrainer gerne beobachten möchten). Stattdessen warfen zahlreiche Trainer den „Flying Goalkeeper“ als Allzweckwaffe ins Rennen. Der Flying-Goalkeeper führt jedoch zu einem statischen Spiel – weder die Qualitäten der verteidigenden Mannschaft noch der angreifenden Mannschaften können in ihrer gesamten Breite beobachtet werden. Aus Sicht der Sichtungstrainer ist dieses Verhalten der Siegmaximierung zwar legitim, aber absolut ineffizient. Zudem standen die besten Spieler teilweise 90% auf dem Parkett. Auch hier sollten Trainer zu mehr Spielerrotation angehalten werden, denn eine sichtungsrelevante Eigenschaft von Spielern ist auch die Fähigkeit auf eine verändernde Mannschaftssituation im Spiel zu reagieren (z.B. ein starker Pivot geht vom Parkett, wodurch der Druck auf die Leistung der Alas steigt). Während die Einsatzzeit von Spielern kaum kontrollierbar ist (aber an die Trainer kommuniziert werden muss), könnte der Flying-Goalkeeper vollständig eingeschränkt werden (z.B. nur in den letzten 2 Minuten). Ein gänzliches Verbot erscheint hingegen nicht zielführend, da auch die Fähigkeit im Flying-Goalkeeper zu spielen bewertet werden sollte. Des Weiteren sollten Verbände auf Zielvereinbarungen bzw. Erwartungen für ein Abschneiden verzichten. Die einzige Erwartung ist es, die besten Spieler des Verbandes zu sichten, nicht einen konkreten Platz zu erspielen. Auch stellt sich die Frage, ob bei weiteren Länderturnieren auf die bereits dem Stammkader der Nationalmannschaft zugehörigen Spieler verzichtet werden sollte. Ohne die besten Spieler, haben die Verbandstrainer mehr Anreize weitere Sichtungsmaßnahmen auf Verbandsebene durchzuführen, um Lücken zu füllen. So bekommen die Sichtungstrainer auch „neue Gesichter“ zur Begutachtung.

Hinsichtlich der Regelungen und Schiedsrichterleistungen gibt es aus Sichtungscharakter wenig Diskussionsbedarf. Kritisch wurde zum einen die 4-Foul-Regel und die aufgrund der parallelen Schiedsrichtersichtung große Varianz in den Schiedsrichterleistungen diskutiert. Ersteres ist jedoch mit Blick auf den Sichtungscharakter in Ordnung (es sollten Anreize zu weniger Foulspielen gesetzt werden). Die größere Varianz der Schiedsrichterleistungen führt hingegen zu Situationen, in welchen die psychische Verfassung von Spielern offensichtlich wird – „Hitzköpfe“ können eher identifiziert werden und unter Umständen als ungeeignet von der Sichtungsliste gestrichten werden.  Daher stellte die parallele Schiedsrichtersichtung eine sehr gute Kombination dar.

Als letzten Punkt könnte man über die mangelhafte Werbung und Vermarkung das Turnier durch DFB-Seite erwähnen. Jedoch sollte ein reines Sichtungsturnier keinerlei mediale Aufmerksamkeit erzeugen, um Spieler neutral und konzentriert zu evaluieren. Von daher sind weiteren Investitionen hier nicht zielführend. Zu Gute kam dem Sichtungscharakter zudem die Abschaffung von musikalischer Untermalung.

Die Fokussierung auf ein reines Sichtungsturnier erscheint wichtig. Grund ist und war die breite und ungleiche Verteilung von Futsalspielern in Deutschland. Ein Trainerteam kann unmöglich alle Ligen und Spiele besuchen zumal es im Futsal noch keine vollständige Qualitätsselektion in die höchsten Futsalligen gibt, da die Entscheidung zur Mannschaftswahl noch von Wohnort und von den Freunden determiniert wird (auch in der dritthöchsten Klasse gibt es Spieler, welche eigentlich auf Regionalliganiveau spielen könnten). Zusammenfassung potenzieller Maßnahmen, um das Turnier stärken einem Sichtungscharakter zu unterwerfen:

  • Teilnahme auf Spieler mit deutschem Pass begrenzen
  • Teilnahme auf Spieler mit Höchstalter von 27 begrenzen
  • Genehmigung zur Teilnahme von Spielern mit Fußballstammverein oberhalb der Landesliga/Verbandsliga einholen
  • Flying-Goalkeeper Regelung anpassen
  • Keine Zielvereinbarungen durch Verbände
  • Teilnahmesperre für Spieler des Stammkaders der Nationalmannschaft
  • Mehr Rotationen in den Kadern
  • Keine eventcharakteristischen Untermalungen (z.B. Musik, Lichteffekte)

Länderpokal als Eventturnier

Blicken wir auf die Diskussionen vor und nach dem Turnier in den sozialen Netzwerken, so beobachteten wir dieses Jahr einen deutlichen Anstieg der Kommunikation der Community zum Thema Futsal und dem Futsaländerpokal. Auch ein Blick auf die Google-Suchbegriffstatistik (Bild 1) zeigt, dass vor und während des Turniers der Höhepunkt der Suchanfragen nach „Futsal“ in Deutschland zu verzeichnen ist. Nicht überraschend kommen die meisten Anfragen aus den Verbänden mit etablierten Ligen (Hamburg, NRW, Hessen, Berlin, Bayern, BaWü). Diese gesteigerte Wahrnehmung ist vor allem verbunden mit der Bedeutung des Sichtungsturniers für die Futsalgemeinschaft.  Im Futsal gibt es bisher kaum überregionale Ausscheidungsspiele. Zudem ist die Futsalcommunity so klein, dass beim Länderpokal beinahe alle Kompetenzträger zu finden sind. Es stellt sich also die Frage, warum die aufgebaute Reputation des Länderpokals nicht genutzt werden sollte, um ein langfristiges Eventturnier zu schaffen. Besonders, da der erste Nationalmannschaftskader bereits steht und somit eine reine Konzentration auf die Sichtung nicht unbedingt notwendig ist bzw. in Zukunft die Sinnhaftigkeit der Ausgaben kritischer durch die Landesverbände diskutiert werden dürfte. Was sollte jedoch passieren, um das Turnier als Primärevent zu etablieren?

Unbenannt

Bild 1: Google-Trends zum Keyword „Futsal“

Zunächst steht bei einem Eventturnier zweierlei im Vordergrund: Show und Unterhaltung! Bei einem Eventturnier würden wir die beste Qualität des Futsalspiels in Deutschland erwarten. Den besten Futsal (wie auch in diesem Jahr sichtbar) liefern (noch) ausländische Spieler. Diese Spieler zeigen uns, was möglich ist und wie weit wir in der Entwicklung stehen. Spieler wie Robert Nospak finden immer wieder Freiräume und zeigen die mit Abstand beste Performance von allen 246 Spielern. Aber ein Showevent benötigt derartig sichtbare „Stars“ und Vorbilder. Eine Ausländerkappung sollte daher maximal wie bisher bestehen bleiben (min. 6 deutscher Spieler im Kader). Eine Altersregelung wäre ebenfalls nicht notwendig, da bei einem Leistungsturnier die größten Anreize bei den Trainern bestehen, dass aktuell beste Team zu stellen – unabhängig vom Alter. Die durchschnittle Leistung wird also – gegenüber einem reinen Sichtungsturnier wie oben beschrieben – deutlich steigen. Gerade der Leistungsanreiz der Verbandstrainer spielt hierbei eine Rolle. Der Sieg sollte im Fokus stehen und schafft somit den nötigen Druck und die Wertigkeit des Turniers. Vorgaben von den Verbänden sollten also bei Spitzenverbänden gesetzt werden, um den Leidensdruck bei Spielern und Trainern zu maximieren. Somit ist es auch nicht relevant, ob Spieler „Fußballer“ oder „Futsaler“ sind – die beste Mannschaft soll gewinnen. Die teilweise kritischen Äußerungen „Sind ja nur Fußballer“ oder „Was machen die hier, die spielen doch eh nicht für die Nationalmannschaft“ wären passé, was der Wahrnehmung bei Spielern und Zuschauern zuträglich wäre. Ein Eingreifen in Taktik und Foulspiele ist auch nicht notwendig. Es sollte die offiziellen Futsalregeln gelten.

Während in Bezug auf die Verbandsanreize wenig Regulierungen anzusetzen sind, sollte bei der Schiedsrichterselektion keine parallele Sichtung stattfinden. Ein Turnier mit dem Anspruch „Premiumturnier“, wirbt zum einen mit den besten Spielern, aber auch mit den besten Schiedsrichtern. Zudem wäre die Nominierung für den Länderpokal auch ein Anreiz für Schiedsrichter, während der Saison ihre Leistung zu maximieren. Es wäre ein Bonusturnier für die besten Schiedsrichter (Ehre gilt schon immer als bester Treiber für Leistungsmaximierung). Zudem würden unterfahrene Schiedsrichter das Turnier unnötig verzerren, wie in zahlreichen Szenen beim Länderpokal 2016 gesehen. Dies schafft Frust und Aversion gegen das Turnier und den Modus. Apropos Modus – ist ein Hammesmodell ein gutes Turniersystem? Im Prinzip gibt es immer ein spannendes Finale und Platzierungsspiele. Obwohl wir also alle den klassischen Turniermodus mit Vorrunde und Finalspielen gewohnt sind, erscheint ein Hammesmodell perfekt für ein dreitägiges Turnier. Auch in einem klassischen Modus treffen nicht alle Teams aufeinander. Um jedoch die besten Partien in der ersten Runde zu vermeiden, sollte eine Dreijahreswertung für die ersten Partien genutzt werden (1.-20.; 2-20). Moment – nur 20 Teams? Bei 21 würde das Hammesmodell nicht aufgehen. Daher werden bisher immer Gastmannschaften eingeladen. Jedoch ist der Anreiz der Gastmannschaften anders und daher die Leistungsanreize nicht ähnlich. Zudem haben Verbände der unteren Platzierungen wenig Anreize mehr für das nächste Jahr zu investieren, da sich die Verbesserung um einen oder zwei Plätzen nicht „lohnt“ in Anbetracht der Mehraufwendungen für Vorbereitungen. Daher könnte das Eventturnier immer einen (oder drei) Absteiger haben. Der letztplatzierte darf somit nicht am nächsten Turnier teilnehmen (es sein denn, der 20. Verband macht kein Gebrauch von seinem Startrecht). Dies würde die Spannung in den Spielen um die unteren Plätze deutlich steigern. Zur Anreizsteigerung der Verbände eine bessere Mannschaft zustellen und somit die Futsalentwicklung im Verband zu fördern, sollten auch Platzierungsgelder an die Verbände gezahlt werden. So entsteht indirekter Druck auf die Verbände einen funktionieren Wettbewerb zu organisieren und damit  in die breite Futsalentwicklung zu fördern, was wir bei einem reinen Sichtungsturnier mit sicherer Teilnahme nicht annehmen würden.

Mehr müsste und könnte dann auch hinsichtlich der Vermarkung getan werden. Primär müssten mehr Zuschauer angesprochen werden und Werbung zentral über den DFB erfolgen. Des Weiteren wäre über eine Rotation des Austragungsortes nachzudenken. Das Turnier könnte als Katalysator in futsalsschwächeren Verbänden wirken und neue Spieler und Interessierte mit Futsal vertraut machen. Über potenzielle Werbeeinnahmen könnten zudem die Siegprämien finanziert werden. Hinzukommt eine bessere „Stimmungserzeugung“ während des Turniers: Turniermusik (Tore, Einlaufen), Turnierprospekt mit Mannschaften, Verkauf von Verpflegung. Noch effektiver wäre die Entkoppelung des Turniers von den Landessportschulen, hinein öffentliche Großsporthallen der Städte. Letztendlich könnte die Turnierorganisation zum großen Teil von enthusiastischen Futsalfans als Helfer mitrealisiert werden (Einlass, Werbung, Verkauf, Unterhaltung), was die Kosten des Turniers senkt. Online-Live-Streaming oder anderweitige TV—Vermarktung wäre ein Muss. Zu überlegen wäre auch die „Showeinlage Futsal“ von ehemaligen Fußballprofis oder ein Spiel mit Prominenten.

Letztendlich die Frage: Wozu? Der DFB hat vielleicht die Einmalige Möglichkeit ein nachhaltiges und wertvolles Turnier zu schaffen, da eine Bundesliga auf eine Sicht von min. 5 Jahren noch unrealistisch erscheint. Nur weil es ein bestimmtes Format im Fußball nicht existiert oder nicht funktioniert, muss es nicht grundsätzlich im Futsal unpassend sein. Ferner können durch ein Event indirekte Anreize für Landesverbände gesetzt werden, um mehr für die Entwicklung zu tun. Welcher Verband möchte schon bei einem medial präsentierten Turnier nicht teilnehmen oder schlecht abschneiden? Es könnte daher bedeutsam für die gesamte Entwicklung des Futsal-Spielbetriebes sein, welche notwendig wird um LANGFRISTIG die Performance der Nationalmannschaft zu steigern. Eine Sichtung kann ebenso während des Turniers erfolgen, ineffizienter zwar als bei einem reinen Sichtungsturnier. Jedoch ist zu bedenken, dass durch eine Verbesserung der Basis es auch zu einer Verbesserung des Potenzials beim Länderpokal kommen könnte – obwohl ineffizienter könnte die Sichtung doch qualitativ besser sein. Für eine Fokussierung auf ein reines Even-Turnier wären daher zusammengefasst folgende Punkte zu diskutieren:

  • Keine Altersbeschränkung
  • Geringe Beschränkung von Spielern ohne deutschen Pass (max. 6)
  • Leistungsanreize bei Trainern durch Vorgabenerhöhen
  • Leistungsanreize bei Verbänden durch Siegprämie und Abstieg von Verbänden erhöhen
  • Offizielle Futsalregeln
  • Keine parallele Schiedsrichtersichtung
  • Paarung erste Runde Hammesmodell nach 3-Jahres Ranking
  • Stärkere medial Aufarbeitung (Bewerbung, Eventcharakter während des Turniers, Verpflegung, Livestreaming )
  • Rotation des Turniers (besonders in Futsal schwächere Verbände)

Unabhängig von der Ausgestaltung des Turniers: Diskussionsplattform schaffen

Bereits 2015 diskutierten wir den fehlenden strukturierten (außerhalb des „Sportlertreffs“) Informationsaustausch (z.B. offene Diskussionsrunden mit Tagungscharakter oder ein konkretes „Get-together“ ) zwischen Entscheidungsträgern der Verbände, Trainern und Spielern. Leider blieb der Schwachpunkt auch dieses Jahr unberücksichtigt. Wir sind weiterhin der Meinung, dass ein Hauptmanko der aktuellen Futsalentwicklung die lückenhafte Weitergabe von Wissen darstellt. Einige Verbände sind um 10 Jahre Erfahrung mit Futsal-Ligaorganisation und Trainingskonzeption reicher. Trotzdem erweckt es den Anschein, dass sich weniger erfahrene Verbände weiter selbständig Wissen aneignen müssen. Diese Prozesse sind redundant und damit ineffizient aus Sicht des Gesamtsystems. Gerade wenn alle Entscheidungs- und Kompetenzträger der Landesverbände und des DFB an einem Ort zusammentreffen, erscheint ein strukturierter und organisierter Wissensaustausch naheliegend. Wie am Rande des Länderpokals jedoch zu erfahren war, arbeitet der DFB an der Planung eines solchen Events und überlegt eine Jahrestagung Futsal für den Sommer 2017 anzusetzen. Bis dahin würde sich jedoch viele Verbände das eigentlich vorhandene Wissen weiterhin selbständig aufbauen bzw. vorhandene Strukturen verlieren (Vereinssterben) und somit investierte Zeit und Personalressourcen versinken. Hier wäre zu wünschen, dass es zeitnah vor oder zum nächsten Länderpokal bereits zu einer ersten „Testtagung“ kommt. Wichtig dabei wäre jedoch eine offene Gestaltung der Repräsentanten und Teilnehmer. Beim Länderpokal war eines wieder deutlich: die aktuellen Entscheidungsträger sind nicht immer die Futsalkompetenzträger der Verbände. Ein Futsalforum während des Länderpokals müsste daher allen Kompetenzträgern offenstehen – somit auch Trainern, Spielern und anderen externen Interessierten.

Zusammenfassung

Das Landesauswahlturnier ist und bleibt eine der besten Termine für die Futsalcommunity in Deutschland. Jedoch sollte darüber nachgedacht werden, die Ziele des Turniers zu konkretisieren bzw. die Ziele zu verändern. Für ein reines Sichtungsturnier sollten verstärkte Regulierungen getroffen werden, um die Effizienz der Sichtung zu erhöhen. Für ein reines Event sollte Trainern und Vereinen Freiheit gelassen und Leistungsdruck aufgebaut werden, um den besten Futsal Deutschlands auf das Parkett zu bekommen. Da die Nationalmannschaft bereits (bzw. bald) ein Kernteam hat, sollte könnte  der Sichtungscharakter eher in den Hintergrund treten. Wichtiger für die Entwicklung des Futsals in Deutschland sind zentrale und medienwirksame Events. Da es bisher lediglich das Finale um die deutsche meistershaft als derartiges Highlight gibt und wenige Vereine mit breiter Fanbasis existieren, könnte der Länderpokal für die nächsten 5-8 Jahr diese Rolle übernehmen. Jede Sportart braucht seine Highlight-Events, um Druck auf die Entwicklung zu machen. Selbst bei einem reinen Event ist eine Sichtung möglich – ein reines Sichtungsturnier wird jedoch schwieriger zum Event.

5 Kommentare

  1. Alexander · · Antworten

    Der fehlende Sichtungscharakter und die Altersproblematik wurden tatsächlich im Sportlertreff besprochen. Ebenso das doch recht große Gefälle an Wissen und Wille zum Wissensaustausch. Aber gerade dieser soziale Aspekt des Turniers ganz speziell für die kleine Futsal Community ist bemerkbar und sehr wichtig. Den angesprochenen Diskurstreff begleitet daher von vorn herein sowohl gute als auch negative Gedanken. Ähnliches gab es ja schon in Frankfurt. War nett. Aber auch nicht mehr. Von den damaligen Vereinsvertretern kam weniger als vom DFB. Dennoch ein guter Blick auf Mögliches.
    ps: Jörg, ich schulde dir noch den Deckel vom Sportlertreff

  2. Ich denke auch, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist, darüber nachzudenken, in welche Richtung der Länderpokal gehen soll! Wichtig wäre in jedem Fall ein regelmäßiger Austausch von Kompetenzträgern, sowohl aus den Verbänden als auch von den Vereinen. Hier muss vom DFB mit Nachdruck dran gearbeitet werden, wenn man nicht nur darauf warten will, dass einem gute Futsal Spieler zulaufen sondern in den Vereinen und Verbänden aufgebaut werden sollen. Ich bin auch der Überzeugung, dass, nach dem es in den letzten Jahren Diverse Futsal Lehrgänge gab, in dem sich viele Netzwerke gebildet haben, ein Zusammentreffen wie in Frankfurt nicht mehr geben wird. Sondern es jetzt mit mehr Zielführung an die weitere Entwicklung von Futsal gehen wird.
    PS: Der Deckel geht auf mich.

  3. […] nationale Event war auch dieses Jahr wieder der Futsalländerpokal. Wie bereits analysiert (https://misterfutsal.de/2016/01/31/sinnhaftigkeit-des-laendesauswahlturniers-2016-sichtung-oder-even&#8230😉 befindet sich dieser jedoch in einem Sinnstreit. Aufgrund unterschiedlicher Zielfunktionen von […]

  4. […] dass der Länderpokal nicht mehr als reines Sichtungsturnier kommuniziert wird. Wie wir in der Vergangenheit berichteten, erscheint es attraktiver, das Turnier generell als Showevent zu gestalten, bei welchem […]

  5. […] der Tradition zur Analyse des Länderpokals (2014, 2015, 2016), möchten wir auch in diesem Jahr (leider etwas verspätet) die Entwicklungen […]

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