Das Tschernobyl des deutschen Futsals?

Vor drei Wochen konnte Futsaldeutschland vier spannende Futsalpartien um den Einzug ins Halbfinale der deutschen Futsalmeisterschaft sehen. Spielerisch überzeugte dabei auch der VFL 05 Hohenstein-Ernstthal gegen Sennestadt und zog ins Halbfinale ein. Mister Futsal erreichten in den vergangenen Tagen interne Informationen und Dokumente aus dem Schriftverkehr zwischen dem MCH Futsal Club Sennestadt, der Kommission Futsal des DFB, des Landesverbandes Westfalen und des Landesverbandes Sachsen, welche einige sehr kontroverse Hinweise zur Gültigkeit des Halbfinaleinzuges diskutieren.

Die Temperatur steigt: Das Viertelfinalspiel zwischen dem VFL 05 Hohenstein-Ernstthal und dem MCH Futsal Club Sennestadt

Die Zuschauer in Bielefeld sahen ein intensives und hochklassiges Futsalspiel mit einen knappen 4:3 Sieg für die Gäste aus Sachsen. Dafür war jedoch nicht nur der westdeutsche Meister vom MCH Futsal Club Sennestadt verantwortlich, sondern insbesondere der ostdeutsche Futsalmeister aus Hohenstein, welcher insgesamt acht ausländische, teilweise europäische, Spieler aufbot. Nach dem Spiel ließ sich sportlich festhalten, dass man bei den Hohensteinern neben dem deutschen Nationalspieler Christopher Wittig nicht nur einen überragenden polnischen Torwart und zwei starke polnische Feldspieler, sondern zusätzlich fünf noch bessere ukrainische Futsaler auf dem Platz bewundern konnte. Der entscheidende O-Ton nach dem Spiel kam von den ukrainischen Spielern, welche davon sprachen, dass sie einzig für dieses Spiel eingeflogen wurden und nach dem Spiel direkt wieder in die Ukraine fliegen, um dort in ihrem Heimatclub wochentags zu trainieren.

Erste Risse: Verantwortliche des MCH FC Sennestadt kommen ins Grübeln

Die Aussagen der ukrainischen Spieler warfen für die Sennestädter einige Missverständnisse und Fragen auf, hier vor allem beim Vorstandvorsitzenden des MCH Futsal Club Sennestadt Yasin Kacar und Trainer Sebastian Rauch. So entschlossen sich beide zusammen eine Recherche zu starten, um die eingesetzten Hohensteiner Spieler auf eventuelle Doppelaktivitäten zu überprüfen.

Um eine umfangreiche und fundierte Recherche zu gewährleisten, teilten die Verantwortlichen von Sennestadt die Geschehnisse mit Mister Futsal sowie weiteren Bekannten aus der deutschen und osteuropäischen Futsalszene, wodurch ein Netzwerk entstand,  wodurch erste Erkenntnisse gewonnen werden konnten: Eine gute Woche nach dem Viertelfinalspiel wurde festgestellt, dass die ukrainischen Spieler des VFL 05 Hohenstein-Ernstthal aktuell überwiegend im geregelten ukrainischen Futsal-Spielbetrieb aktiv sind.

Demnach spielen die eingesetzten Hohensteiner Viertelfinalspieler Mykyta Tmenov (ukrainisch/kyrillisch: Никита Тменов), Yurii Shcheryisia (ukrainisch/kyrillisch: Юрий Щерица) sowie Jurii Melnyk (ukrainisch/kyrillisch: Юрий Мельник)  aktuell (Spielberichtsbogen vom 11. März 2017) nachweislich im ukrainischen Futsal in der Superliga KFL 2016/17 des Kiewer Verbandes bei der Mannschaft „Epizentrum К2“ (Эпицентр К2). Ferner gibt es Video-Highlights vom letzten Spiel am 11. März 2017 gegen Chumazkij Schljah-Academica (ЧША), in dem Tmenov, Shcherysia und Melnyk  zu erkennen sind. Zudem wird parallel zum Viertelfinale der Deutschen Futsal-Meisterschaft 2017 in einem Spielbericht zum letzten Spieltag der ukrainischen Superliga KFL am 25. März 2017 in Bezug auf den Tabellenführer und neuen Meister „Epizentrum К2“ (Эпицентр К2) darauf hingewiesen, dass sich deren wichtigsten Stammspieler an diesem Spieltag auf „Reisen“ befanden, doch konnte man sich aufgrund des Punktvorsprungs von 4 Punkten am letzten Spieltag gegen den Zweiten der Liga eine Niederlage erlauben. Die hier gemeinten „reisenden“ Stammspieler (Tmenov, Melnyk und Shcheryisia) haben als „eingespielter Block“ am 25. März 2017 im Dress des VFL 05 Hohenstein-Ernstthal gegen den MCH Futsal Club Sennestadt im Viertelfinale der deutschen Futsal-Meisterschaft 2017 gespielt.

Der Alarm löst aus: Telefonat mit Sergey Velichko (Präsident des Kiewer Futsal-Verbandes)

Angesprochen auf die Spielernamen teilte Velichko am Telefon mit: „Die von Ihnen genannten Futsaler sind bei uns bekannte Spieler und aktuell die besten der Liga.“

Zur derzeitigen Teilnahme der genannten Spieler bei der deutschen Futsal-Meisterschaft 2017 äußerte sich Velichko wie folgt: „Ein Spieler der KFL ist nur in seinem Verein spielberechtigt und insoweit an diesen gebunden, dass er keine parallelen Verträge bei anderen ukrainischen Vereinen unterschreiben darf. Es ist mir jedoch bekannt, dass einige unserer Spieler nebenbei im Ausland spielen, um Geld zu verdienen. Wir sehen das natürlich nicht gerne, aber bei der schlechten wirtschaftlichen Lage in der Ukraine ist den Spielern kein Vorwurf zu machen und als Verband kann man ihnen Aktivitäten außerhalb der Ukraine nicht verbieten. Für ein mögliches Verbot sind die Regularien der Verbände zuständig, in welchen unsere Spieler parallel spielen. Wenn diese aktive Spieler aus dem Ausland erlauben, dürfen sie spielen, wenn nicht, dann nicht.“

Die Kernschmelze: Verstöße gegen die Durchführungsbestimmungen der Deutschen Futsal-Meisterschaft 2017?

Auf Basis der Informationen über die eingesetzten Spieler stellte sich die Frage, ob ein derartiger Einsatz überhaupt im Einklang mit den DFB-Statuten steht. Der DFB regelt die Spielberechtigung ausländischer Spieler bei der Deutschen Futsal-Meisterschaft 2017 in seinen Durchführungsbestimmungen wie folgt: „Spieler, die eine Futsal-Spielberechtigung für einen Verein im Ausland besitzen, sind nicht spielberechtigt.“ (Durchführungsbestimmungen der Deutschen Futsal-Meisterschaft, §85, Punkt 3, S. 39)

Zudem erwähnen die Sennestädter in ihrem „12-seitigen Überprüfungsbericht“ den Sachverhalt, dass in ihrem Viertelfinalspiel gegen den §85, Punkt 6, der Durchführungsbestimmungen („Die Kontrolle der Spielberechtigung erfolgt durch die Schiedsrichter“) nicht nachgekommen und mit einer fehlenden Futsal-Spielerpasskontrolle zusätzlich gegen die Durchführungsbestimmungen verstoßen wurde.

Ferner erfuhren wir aus mehreren Berichten, dass (u.a. aufgrund der noch überwiegenden Einordnung des Futsals in den Freizeit- und Breitensport) in der Praxis der Futsal-Spielerpasserstellung nicht in allen deutschen Landes- und Regionalverbänden Ausweisdokumente oder – bei entsprechender Vorgabe – die Überprüfung einer bestehenden ausländischen Spielberechtigung zur Erstellung eines Futsal-Spielerpasses zu den Grundlagen gehört, so dass hier Raum für formale und inhaltliche Fehlinformationen geboten wird. Auf dieser Grundlage erhärtete sich somit der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten hinsichtlich des Einsatzes nicht spielberechtigter Spieler.

Explosion: Kontaktaufnahme zum DFB

Am Samstag, den 1. April 2017, als die Sennestädter ihre erste Recherche abschlossen und sowohl der Leitung der Deutschen Futsal-Meisterschaft 2017 um Bernd Barutta als auch der DFB-Futsal-Kommission ihr Dokument mit den belastenden Sachverhalten zuschickten, war die Einspruchsfrist laut DFB-Spielordnung von 48 Stunden nach dem Spiel verstrichen. Dennoch wurde den Sennestädtern seitens DFB ein Einspruch nahegelegt, obwohl dieser Einspruch aufgrund der nicht eingehaltenen Frist abgewiesen worden wäre. Mit diesem Wissen bat der MCH Futsal Club Sennestadt den westdeutschen sowie westfälischen Fußballverband als betroffenen Heimatverbände um eine weitere Recherche und Kontaktaufnahme zum DFB. Dies geschah dann insbesondere über den westfälischen Fußball- und Leichtathletikverbandes, welcher beim DFB Antrag auf Überprüfung von Amts wegen durch den DFB-Kontrollausschuss stellte.

Während der Vorfall laut Rückmeldung des DFBs bearbeitet wurde, recherchierte Sennestadt weiter. So wurde über einen Mittelsmann die Rückmeldung des sächsischen Fußballverbandes eingeholt, dass der VFL 05 Hohenstein-Ernstthal für alle seine ukrainischen Spieler schon am 09.11.2016 den Passantrag beim sächsischen Fußballverband einreichte und alle Passanträge schon am 17.11.2016 mit den entsprechenden Spielerpass versehen wurden. Das klingt regulär, ist jedoch für einen internationalen „Nicht-EU-Wechsel“ unerwartbar schnell und reibungslos. Nach Rückmeldung anderer Landes- und Regionalverbände ist dies bei internationalen (nicht-EU)-Wechseln in dieser Zeit durchaus möglich, bei fünf Spielern gleichzeitig jedoch sehr schwierig. Man bräuchte deutlich länger, um die bürokratischen Wege (TMS-Pro-Verfahren, internationaler Freigabeschein etc.) bei solchen internationalen Anträgen hinter sich zu bringen. Ferner sind die ukrainischen Spieler, die aktuell im ukrainischen Futsal aktiv sind, außerhalb der Sommer- und Winter-Wechselperiode gewechselt, was Unregelmäßigkeiten im Prozess der Passanträge wahrscheinlicher macht.

Katastrophenplan: Schuldfrage vs. Spielwertung

Verstöße gegen die Durchführungsbestimmungen müssen im Kontext und Verbindung von Schuld und Spielwertung betrachtet werden. Während Sennestadt aufgrund des vorherrschenden Betrugs nachvollziehbar eine andere Spielwertung (5:0 anstatt 3:4) fordert, gilt es für den DFB neben dem Punkt der Spielwertung auch die Schuldfrage in Augenschein zu nehmen – beides kann bzw. sollte differenziert betrachtet werden.

Auf der einen Seite kann die Schuldfrage wie folgt beantwortet werden: Sollten im Ausland aktive Spieler vom VFL 05 Hohenstein-Ernstthal eingesetzt worden sein, so trifft dem Verein im Zuge der Verantwortung für den Einsatz auch die Schuld an diesem Vergehen. Ferner vertreten die nicht-spielberechtigten Spieler den Verein im Wettbewerb, in diesem Fall Spieler, die im Wissen um ihre Doppelaktivität teilgenommen haben, womit auch aus dieser Perspektive die Verantwortung auf den Verein übertragen wird.

Auf der anderen Seite wird bei einem Verstoß gegen die Durchführungsbestimmungen der Verein, der gegen diese verstoßen hat, im Sinne der Gerechtigkeit mit einer Spielwertung von 0:5 bestraft. Diese Spielwertung kann zum einen der MCH FC Sennestadt über einen Einspruch erstreiten, oder wie im hiesigen Fall über einen Umweg anhand der Überprüfung von Amts wegen durch den DFB diese Spielwertung ausgesprochen werden.

Super-Gau: Was kann der DFB tun?

Bleibt die Frage, ob seitens des DFBs ein Einschreiten möglich ist. Uns erreichten mehrere Aussagen aus den Reihen des DFBs, dass von einer aktiven Bearbeitung abgesehen wird. Nachdem die Sennestädter nicht wie vom DFB gewünscht einen verspäteten Einspruch einlegten, der dann direkt hätte abgelehnt werden können, schien seitens DFB der Eindruck nötig, dass man den Fall weiter priorisiert und eine Überprüfung in Gang setze und eine Entscheidung über eine mögliche Disqualifikation des VFL 05 Hohenstein-Ernstthal fallen würde.

Dabei ging es bei der Vorgehensweise des DFB durch Bernd Barutta, Bernd Schulz und Peter Frymuth nicht um eine diesbezügliche Überprüfung oder der Bestrafung eines mögliches Fehlverhaltens. So ist man unseren Informationen nach schon seit letzter Woche Mittwoch (5. April) darauf fokussiert, die vorhandenen Unregelmäßigkeiten nicht zu veröffentlichen, zu begradigen und zu legalisieren: Bis dato wurde alles unternommen, um einerseits die Spielberechtigung der fünf ukrainischen Futsaler für den VFL 05 Hohenstein-Ernstthal zu organisieren und andererseits die Nachforschungen des MCH Futsal Club Sennestadt sowie seiner Heimatverbände zu stören.

Für ein ernsthaftes Motiv und eine damit verbundene Entscheidung über die morgige Halbfinalteilnahme bei der Deutschen Futsal-Meisterschaft 2017 erreichte Sennestadt gestern eine abschließende Stellungnahme des DFBs: „Nach Bewertung aller uns vorliegenden Unterlagen können wir beim gegenwärtigen Sachstand nur feststellen, dass die in Ihrem Schreiben genannten Spieler eine gültige Futsal-Spielerlaubnis für den Verein VfL Hohenstein-Ernstthal besitzen.“

Fall-Out: … 

Nach der erneuter Prüfung der Inhalte der Recherche, lässt sich abschließend festhalten, dass ein großes Fragezeichen hinter das aktuelle Ergebnis des Falls setzen müssen. Dabei scheinen nach den vorliegenden Informationen Sportlichkeit, Gerechtigkeit und Werte des Sports keinen Platz zu finden. Im Gegenteil, durch diesen Vorfall wird das allgemeine und sportliche Gerechtigkeitsempfinden nachhaltig schwer verletzt, weshalb wir dieses sensible Thema hier inhatlich diskutieren möchten.

Wir möchten deshalb den offenen Austausch aller Parteien mit diesem Beitrag fördern und eine Veröffentlichung weiterer Informationen ankurbeln, um das Vertrauen in den fairen Wettkampf beim Futsal nachhaltig in Deutschland nicht zu stören. Ansonsten könnte es das Tschernobyl des Futsals werden.

2 Kommentare

  1. 63565825 · · Antworten

    Die Überschrift ist gut gewählt.
    Hohenstein hat sich nur geschadet. Man hatte auch ohne Ukrainer einen breiten Kader mit 2 Nationalspielern, mit dem man im Nordosten Serienmeister wurde. In der nächsten Saison treten sie mit nur noch einer Mannschaft (vorher 2 bis 3) in der Regionalliga an. Die Einheimischen haben dann keine Spielpraxis mehr, zumal es im Umkreis keine Alternative gibt.
    Dass SFV und DFB ein Korruptionsproblem haben, wurde schon bei der statutenwidrigen Sonderbehandlung für RB Leipzig deutlich.
    Der Brief an Fortis ist offensichtlich nicht authentisch. Man hätte ihn nicht veröffentlichen sollen, vielleicht diente er dazu, die Kritiker zu diskreditieren.

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