Die Futsalpyramide: Das 1×1 des Futsal

Jede Sportart ist auf ihre Art hochkomplex. Für Außenstehende ist dies oft nicht sofort erkennbar. Sicher gibt es Unterschiede bezüglich der Komplexität einzelner Sportarten auf Grund von Spieleranzahl, Feldgröße oder Reglement. Doch darf man ohne fundierte Kenntnis behaupten, dass zum Beispiel Tennis komplexer als Basketball ist? Oft ist der Schwierigkeitsgrad einer Sportart erst dann erkennbar,  wenn man sich für eine längere Zeit mit den „Kleinigkeiten“ auseinandersetzt. Erst dann erhält man einen Einblick, wieso eine gezielte gruppen- und individualtaktische Vorbereitung oft über Sieg und Niederlage entscheidt.

Gerade der Futsal bietet eine Vielfalt von taktischen Aspekten, die externen Betrachtern nicht bei ersten Hinsehen auffallen. Die Magie dieser Sportart entfaltet erst ihre volle Strahlkraft, sobald der Betrachter zum ersten Mal einige typischen sich wiederholende Muster, sowie dessen Nutzen, im Spielverlauf erkennt. Eine 4-0 Rotation hier, eine Diagonale mit falschen Block dort. Trotzdem wird gerade die taktische Bandbreite des Futsals in Deutschland noch stark unterschätzt. Dies kann vielleicht an dem hierzulande praktizierten Hallenfußball liegen, der durch seine Funktion als Lückenfüller wenige taktische Aspekte bietet. Oder es kann an dem schlechten Image vom Futsal als Sammelbecken für gestrandete „Trickser und Dribbler“ liegen. Nichtsdestotrotz ist gerade beim Futsal die gruppentaktische Zusammenarbeit der Spieler meistens entscheidend für den Spielverlauf auf dem Feld. Das Spiel zeichnet sich durch eine so hohe Geschwindikeit und Dynamik aus, dass die einzelnen Spieler und der ganze Mannschaftsblock auf alle Eventualitäten jederzeit vorbereitet seinen müssen. Fällt ein Spieler aus, fehlt dem Team 25% Leistung auf dem Feld . Wer schneller und besser entscheidet, gewinnt.

Doch wie ist es nun möglich, den Futsal als Ganzes so zu interpretieren, dass man eine Struktur erhält, die der Mannschaft vermittelt werden kann? In diesem Zusammenhang wird international oft das Beispiel der „Futsalpyramide“ verwendet. Die Futsalpyramide versucht, alle relevanten Aspekte inhaltlich zu reduzieren und gleichzeitig zu strukturieren. Dabei ist die Metapher der Pyramide mehr als zutreffend. Denn die Pyramide kann nur bestehen, wenn sie von unten nach oben aufgebaut wird. Ohne Basics kein Futsal. Ähnliche Ansätze finden sich im Fußball bei der Coerver-Methode (oder Pyramide) und auch Arsene Wenger richtet sich bezüglich der Ausbildung von Jugendspielern bildlich sehr gerne an einem Einfamilienhaus, dass ein solides Fundament benötigt, bevor die nächsten Etagen errichtet werden können. Schauen wir uns doch mal die Pyramide genauer an.

Die Futsal Pyramide

Die Futsalpyramide unterteilt sich in vier Teilbereiche. Der Sockel der Pyramide bildet sich aus den Teilbereichen individuelle Technik und individuelle Taktik der einzelnen Spieler. Ein Spieler, der einen Ball nicht annehmen oder sauber weiterspielen kann, der wird auch nicht in der Lage sein, alle folgenden taktischen Anforderungen des Futsals zu erfüllen. Auf dieser Basis folgen die sogenannten taktischen Aktionen. Zu den taktischen Aktionen gehören alle Aspekte die Teile der Offensive oder Defensive betreffen. So werden Überzahlsituationen in der Defensive oder das Ballbesitzspiel in der Offensive als einzelne taktische Aktionen verstanden, die durch gezieltes Training verbessert und erlernt werden können. Aufbauend auf diesen beiden Bausteinen folgt das eigentliche Herzstück einer jeden Futsalmannschaft, das Spielsystem. Das Spielsystem kann als die Philosophie oder Stil einer Mannschaft verstanden werden. Und diese äußert sich im Futsal besonders stark durch den Aspekt der Rotationsform in der Offensive und der Wahl des Defensivsystemen, welches durch die Höhe der Abwehrreihe und Intensität der Abwehrarbeit bestimmt wird. Die Spitze der Pyramdie bildet sprichwörtlich die Strategie, bei der Standards und sehr spezielle Spielsituationen wie das Powerplay in gegnerische Unterzahlt oder das eigene Überzahlspiel anhand eines Flying Goalkeepers hinzuzuzählen sind.

Das 1x1 des Futsals. Einfach und gleichzeitig hochkomplex. Das macht den Futsal aus

Das 1×1 des Futsals. Einfach und gleichzeitig hochkomplex. Das macht den Futsal aus

Die individuelle Technik und Taktik

Technik und Taktik der Spieler bilden die Basis für den Futsal. Selbstverständlich kommt kein Spieler und keine Mannschaft darum herum, technisch und körperlich gute Spieler in den eigenen Reihen zu haben. Aus diesem Grund ist es in Deutschland auch noch sehr einfach, durch den Einsatz guter Fußballer herausragende Ergebnisse beim Futsal einzufahren. Denn andere Teams haben eine nicht so gute Grundlage und brauchen logischerweise noch viel mehr Arbeitsaufwand, um die nächsten Stufen der Pyramide zu nehmen, um auf Augenhöhe antreten zu können. Technik, Dribbling, Ballannahme, Abschluss, Schnelligkeit sind die zentralen Eckpfeiler. Trotzdem ist es kein Zufall, dass der taktische und technische Block zu gleichen Teilen in der Darstellung abgebildet sind. Denn taktisch intelligente Spieler können durch richtige Entscheidungen auf dem Feld körperliche oder technische Nachteile ausgleichen. Gerade in der spanische Nachwuchsausbildung gilt der Grundsatz: „Entscheidungsmechanismen sind das A und O. Wer schneller denkt gewinnt. Wenn ich das Spiel verstehe, kann ich besser spielen. Wenn ich verstehe, warum ich auf dem Feld etwas tue, kann ich es noch besser umsetzen.“ Auf Grund dieser Tatsache ist der spanische Futsal das non-plus ultra in Europa und vielleicht auch in der Welt. Trotzdem muss festgehalten werden, dass der unterste Teil der Pyramide fest in brasilianischer Hand ist. Die Brasilianer sind technisch individuell so stark, dass sie oft alleine deswegen Spiele gewinnen. Die Weltmeistertitel und Falcao als Aushängeschild sprechen für sich.

die Futsalpyramide - Kopie

Block 1: individuelle Technik und Taktik der Spieler

Die taktischen Aktionen

Eine Stufe höher treffen wir auf die taktischen Aktionen. Sobald die Grundlagen sitzen, werden die Zusammenspiele und Synergien zwischen den Spielern interessant. Wie greife ich am besten in der Offensive an? Was tue ich, wenn ich meinen Mitspieler in einer 1 gegen 1 Situation unterstützen kann? Was soll ich in einer 3 gegen 1 Unterzahlsituation in der Defensive machen? Wie spiele ich eine Parallela richtig aus? Wann hilft ein Block meinem Mitspieler?

Dies sind die Fragen, die in diesem Bereich beantwortet werden. Die Anzahl dieser „taktischen Spielzüge“ konzentriert sich im Futsal für die Offensive und Defensive jeweils auf ein gutes Dutzend, wie dem Block, dem Positionswechsel, dem Freilaufen, dem falschen Block, der Unterstützung in der Defensive etc. pp. Diese taktischen Grundlagen und Spielzüge können einzeln perfektioniert und auch als Werkzeuge interpretiert werden, die den Spielern an die Hand gegeben wird. Werden die einzelnen Spielzüge oft genug trainiert, wird der Spieler und die Mannschaft automatisch die richtigen Werkzeuge für die passenden Spielsituationen anwenden. Es geht also auch hier erneut um Entscheidungsmechanismen während des Spiels. Je mehr dieser Werkzeuge ein Spieler oder Team hat, desto besser kann es agieren und reagieren.

Und dies ist die Kernkompetenz der spanischen Teams. So sind die brasilianischen Spielern oft jedem einzelnem spanischen Spieler offensichtlich technisch überlegen. Doch besitzen die spanischen Teams eine so hohe Anzahl an Werkzeugen, die im richtigen Moment eingesetzt werden, dass die individuelle Klasse der Brasilianer ausgeglichen wird. Nicht umsonst dürfen sich nur Brasilien und Spanien als Futsalweltmeister titulieren, die fünf der letzten vier Finale untereinander ausgetragen haben.

die Futsalpyramide - Kopie (2)

Block 2: die taktischen Aktionen

Das Spielsystem

Bereich Nummer drei der Pyramide bildet das Herzstück jeder Futsalmannschaft. Das Spielsystem ist die Philosophie, wie das Team im Spiel agieren möchte. Hier werden zentrale Fragen wie die Formation für die Rotationen geklärt. Wird in einem 4-0, klassischen 3-1 oder etwas angestaubten 2-2 gespielt? Welche Idee verfolgt die Verteidigung? Wird eine hohe Manndeckung als Ziel verfolgt oder eine tiefe Staffelung der Abwehrreihen im 1-2-1?

Bis zu diesem Punkt kann ein Team auch ohne Spielsystem funktionieren, solange es die vorherigen beiden Aspekte zur Perfektion beherrscht. Das Spielsystem ist der logische Fingerabdruck der Mannschaft. Nur ist es leider unsinnig, dem Team ein solches System aufzudrücken, wenn die Grundlagen nicht stimmen. Wie sollen die Spieler eine Rotation im 3-1 durchführen, wenn jene Probleme bei der Ballbehandlung haben und keinen Block für den Mitspieler stellen können? Hier das richtige Maß zu finden ist sicherlich eine extrem schwierige Aufgabe für den Trainer.

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Block 3: Das Spielsystem

Die Stategie

Kommen wir zu der Spitze der Pyramide: Die Strategie. Hier tümmeln sich die Taktikfüchse, die ihrer Mannschaft mehr als die üblichen Grundlagen beibringen möchten. In der Strategie werden Mittel erarbeitet, die einen entscheidenen Vorteil in speziellen Spielsituationen geben können. Dazu zählen neben den einfacheren Aspekte wie Standards nach Ecken, Freistößen oder Einkicks auch die Königsdisziplinen der Futsaltaktik repräsentiert durch das eigene oder gegnerische Powerplay bei Überzahlsituationen (z.B. nach einer roten Karte) und dem Flying Goalkeeper (TW wird zu einem fünften Feldspieler konvertiert).

Zu recht darf bei diesen taktischen Mitteln von den Königsdisziplinen gesprochen werden, die erst an Attraktivität für eine Mannschaft gewinnen, wenn alle vorherigen Teile der Pyramide perfektioniert wurden. Selbst Profimannschaften tun sich mit dem Flying Goalkeeper schwer, so dass statistisch eher mehr Tore gegen die Mannschaft fallen als für. Aber diese Themengebiete verdienen wahrlich eigene Blogeinträge.

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Block 4: Könige der Taktik – die Strategie

Zusammenfassung

Die Futsalpyramide ist der einfache Versuch, den Futsal in seine Einzelteile zu zerlegen und somit sowohl Spielern als auch Trainern den Einstieg und die Weiterentwicklung beim Futsal zu erleichtern. Die Pyramide kann als eine Art Leitfaden zur Selbstkontrolle gesehen werden. Wo stehe ich als Spieler und wo steht mein Team? Ist es für die Mannschaft sinnvoll, den Flying Goalkeeper zu erlernen, wenn drei Spieler noch nicht mal eine richtige Raumöffnung durch kurze Laufbewegungen beherrschen? Sicherlich deckt die Pyramide nicht alle Teilbereiche ab. Trotzdem ist die Pyramide ein gutes Werkzeug für die Grundlagenarbeit, die in Deutschland noch sicher lange von vielen Vereinen und Mannschaften betrieben werden muss.

Wie findet ihr die Pyramide? Seit ihr in eurer Trainingsgestaltung schon ähnlich aufgestellt wie es in der Futsal-Pyramide dargestellt ist? Vielleicht habt ihr ja weitere inhaltliche Aspekte, durch die ihr die Pyramide erweitern würdet. Lasst es mich in den Kommentaren wissen!

2 Kommentare

  1. […] den Pivot dort. Die HFV-Auswahl hat ähnlich den Brasilianern ihre Stärke in der unteren Basis der Futsalpyramide. Auf diese Grundlage darf man ruhig neidisch […]

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